Querulanten, Verschwörungstheoretiker oder ??

Papstpalais in Avignon (www.rosier.pro) – als alle Päpste Franzosen waren

Verschwörungstheoretiker und Antiverschwörungsapostel liefern sich derzeit einen hitzigen Schlagabtausch. Beidseits oft unter der Gürtellinie. Derzeit haben die Antiverschwörer die Oberhand – dank eines öffentlich-rechtlich befeuerten Mainstreams. Die Gegenseite wird dort stets von ihrer hässlichsten Seite gezeigt: Nazis, Faschisten und plündernde Randalierer, deren die Polizei kaum Herr wird. Weshalb zur Sicherstellung von Ruhe, Ordnung und Volksgesundheit noch mehr Vorschriften und Kontrollen erforderlich sind.

Defensor Pacis – Verteidiger des Friedens

Solche ideologischen Kämpfe sind mir aus mittelalterlichen Schriften bekannt. Auch durch den exkommunizierten Priester und Historiker Eduard Winter, der 1981 mit seinem Buch „Ketzerschicksale“ längst vergessenen Querdenkern ein Denkmal gesetzt hat. So etwa Marsilius von Padua, der als Rechtswissenschaftler, Theologe, Philosoph und praktizierender Arzt in seinem Werk „Defensor Pacis“ (Verteidiger des Friedens) verschwörerische Theorien verbreitete. Er behauptete, dass Christus kein Haupt der Kirche eingesetzt hat; oder dass dieser Kirche keine Zwangsgewalt zusteht und der Kaiser daher einen Papst zurechtweisen, bestrafen oder sogar absetzen kann.

Prompt wurde er vom Franzosen Jacques Duèze (vulgo Papst Johannes XXII.) am 3. April 1327 mit päpstlicher Bulle zum Ketzer erklärt. Was Marsilius nicht hinderte, weiterhin krause Ideen zu propagieren. Etwa, dass nicht der Papst, sondern „allein die Gesamtheit der Staatsbürger oder deren bedeutendster Teil“ zur Gesetzgebung berufen ist. Er behauptete, dass allein das Urteil des Volkes maßgebend sei. Dieses Volk wählt die Regierung – und diese regiert im Auftrag des Volkes.

Marsilius von Padua

Diese von ehemaligen Verschwörungstheoretikern erfundene Volkssouveränität ist das derzeitige politische Credo. Heute wären jene die Ketzer, die es wagen würden, dagegen ihre Stimme zu erheben. Oder gar dafür auf die Straße zu gehen! Damals wurden Marsilius und ähnliche Querdenker, wie etwa der Philosoph und Theologe Johann von Jandun vom Papst als „Bestien, hervorgegangen aus den Abgründen des Satans und aus dem Schwefelpfuhl der Hölle“ diskreditiert.

Marsilius hatte Glück. Seine antipäpstliche Verschwörungstheorie passte dem Bayernkönig und designierten Kaiser Ludwig IV. ins Konzept. Dieser war nach seiner eigenen Beurteilung „ein Ritter, unkundig der Feinheiten der Schriften und der Wissenschaft“- und keinesfalls bereit, sich dem Papst zu unterwerfen. Wofür er (wie Marsilius) vom Papst als Häretiker mit einem Kirchenbann belegt wurde.

Ein Bayer marschiert nach Rom

Worauf sich Ludwig 1327 entschloss, mit seinen bayrischen Truppen nach Italien zu ziehen. Mit der Absicht, seine frühere Wahl zum Oberhaupt des „Imperium Romanum“ statt vom Papst vom römischen Volk bestätigen zu lassen. Dafür wurde der Papst auf Anregung Marsilius kurzerhand abgesetzt – am 17. Jänner 1328 fand in Rom eine Kaiserkrönung ganz ohne Papst statt. Am 12. Mai wurde der italienische Fanziskaner Pietro Rainalducci vom Kaiser als Nikolaus V. zum Gegenpapst eingesetzt, nachdem eine Volksversammlung durch Akklamation zugestimmt hatte.

Kaiser Ludwig IV. – König von Bayern

Was hätte Konstantin Wecker in solch einem Fall gesungen: „Habemus Papam – wir haben einen neuen Papst, einen funkelnagelneuen Papst…“ Doch der alte ließ sich nicht so schnell abservieren. (Solche einen freiwilligen Rückzug gab es erstmals mit dem Deutschen Joseph A. Ratzinger, der als Benedikt XVI. 2013 auf sein Amt verzichtete.) Dieser französische Johannes XXII. hatte es (wie schon sein Vorgänger Clemens V.) vorgezogen, statt in Rom aus Avignon sein Kirchenimperium zu leiten. Dort stand er unter dem Schutz des Grafen von La Marcha, der 1322 als König Karl IV „der Schöne“ Frankreich dirigierte. Dem es aus Prestigegründen durchaus gelegen kam, einen Papst als politisches Gegengewicht zum bayrischen Kaiser in seinem Herrschaftsbereich beherbergen zu dürfen.

Offensichtlich hat es dem Klerus in Avignon recht gut gefallen. Denn auch die nächsten unter der Schirmherrschaft der französischen Könige neu ernannten französischen Päpste hatten bis 1377 nicht die Absicht, nach Rom zurückzukehren. Der 18 Jahre regierende Johannes XXII. nutzte jedenfalls seine Medienorgel – die Bischöfe samt untergeordneten Kirchenpersonal – um den unbotmäßigen Kaiser immer wieder als Ketzer und Verschwörungsapostel mit Bannsprüchen zu belegen. Um diesen damit zu bewegen, den verhassten Querdenker Marsilius der Heiligen Inquisition auszuliefern.

Fegefeuer für Verschwörer
Fegefeuer für Verschwörer

Der Historiker Heinrich Seuse, ein mittelalterlicher Mystiker, berichtet, wie schwer dieses Interdikt auf Konstanz – dem damaligen Kaisersitz – lastete. In den vom Papst gebannten Gebieten durften Sakramente nicht gespendet, Tote nicht kirchlich begraben werden; die Glocken hatten zu schweigen. Und diese Strafe dauerte unter Umständen mehrere Jahre.

Wahnsinn, Blindheit und Raserei

Papst Clemens VI. alias Pierre Roger

Ludwig revanchierte sich. Er verfügte 1330, dass die Pfründen von Geistlichen, die diesem Interdikt gehorchen, „Bürgermeistern und Ratsherren der Bürgerschaft“ zufallen sollen. Hier war endlich der Bürgerschaft der Weg gewiesen, weitere Klerikalisierungen und die damit verbundene Steuerfreiheit zu stoppen.

Doch Ludwig konnte sich auf Dauer nicht gegen die päpstliche Antiverschwörungskampagne durchsetzen. Der 1342 in Avignon als Papst Clemens VI. in Avignon zur Macht gekommene Pierre Roger hatte 1346 neuerlich ein Interdikt über den Bayernkaiser verhängt. Und zwar mit den Fluch: „Möge Ludwig in eine Fallgrube geraten, die er nicht sieht,… Der Herr schlage ihn mit Wahnsinn, Blindheit und Raserei …Die Erde öffne sich und verschlinge ihn lebendig.“ Was wahrscheinlich auch den Intentionen des Franzosenkönigs entsprochen hat.

Diese dramatische Öffentlichkeitsarbeit der Päpste hatte Erfolg. Ludwig wurde von den Kurfürsten abgesetzt. Der „Ketzergemeinschaft“ in München wurde vom neuen Kaiser Karl IV. – einst Zögling von Pierre Roger – ein Ende bereitet. Die Antiverschwörer hatten für mehrere Jahrhunderte die Oberhand erlangt. Die unter dem päpstlichen Bannfluch stehenden Verschwörungstheoretiker Marsilius und Jandun starben 1342. Doch ihre Ideen leben weiter. Ihr Wirken wurde zur Geburtsstunde des heutigen Laizismus.

Das Schicksal derartiger Querdenker führt uns die Größe, anderseits die Beschränktheit menschlichen Denkens vor Augen. Wer weiß , ob nicht eine Verschwörungstheorie von heute bereits morgen der neue Mainstream ist.

Der Petersdom – durch Ablasszahlungen zum Prachtbau avanciert (Foto: Wolfgang Stuck)

 

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