„Vater unser“-einmal anders

Wieder einmal ist das „Vaterunser“ in die Schlagzeilen geraten. Dem „Kurier“ ist es sogar eine kleine Leserbefragung wert. Schließlich ist es das wohl bekannteste Gebet in der westlichen Welt; selbst vielen Kirchenfernen oder Atheisten sind die Worte, die aus dem Matthäus- und dem Lukasevangelium der Bibel stammen, geläufig. Der Aufhänger der Diskussion ist die bei uns gebräuchliche Bitte „führe uns nicht in Versuchung“. Eine Übersetzung, die zuletzt auch Papst Franziskus kritisiert wurde. Hat Jesus wirklich so zu Gott gebetet?

Viele wissen gar nicht, in welchem Zusammenhang Jesus dieses Gebet sprach. Bei der „Bergpredigt“, bei er seinen Jüngern den Kern seiner Lehre darlegte. Erst dieser Zusammenhang ergibt der wahrer Sinn seiner Worte und die Jesus vorschwebende Ethik. Sie sind getragen vom bedingungslosen Vertrauen zu Gott, dem Allvater, der für alle das Beste möchte. Jesus zeigt seinen Jüngern, wie sie diesen Weg zu Allvater beschreiten können. Wie sie sich damit selbst vom Irdischen befreien.

Was ist aus den ursprünglichen Inhalten dieses Gebets geworden? 
Die kirchlichen Worte passen überhaupt nicht zu der Belehrung, die Jesus seinen Jüngern gab. Etwa der Unsinn der sechsten Vater-unser-Bitte: Warum sollte dieser Gott, der niemanden in Versuchung führt, sondern immer hilft, sich von der Macht des Bösen zu befreien, jemanden in Versuchung führen? Hat hier jemand das Vaterunser-Gebet verfälscht? Schließlich heißt es an anderen Stellen der Bibel, dass der „Teufel“ der Versucher ist und dass Gott von der Versuchung befreit. Oder ganz klar: „Niemand sage, wenn er versucht wird, dass er von Gott versucht werde.“ So steht es im Jakobusbrief der Bibel (1, 13) und: Gott selbst „versucht niemand“. Das sind deutliche und unmissverständliche Worte, denn ein guter Vater würde niemals seine Kinder „versuchen“, etwas Böses oder Unrechtes zu tun.

Jesus beim Abschiedsmahl: Die letzte Belehrung

Aber wie kann das von Jesus gesprochene Gebet ausgesehen haben? Dem ist schon vor einiger Zeit ein Altphilologe auf den Grund gegangen. Mit einer Neuübersetzung, die Mitte Februar 2020 unter dem Titel „Jesus trifft Buddha“ (Untertitel: „Das atheistische Evangelium“) im Verlag Frank & Timme erscheinen wird. Aus Aktualitätsgründen möchte ich da schon vorweg diese in die Bergpredigt eingebettete Fassung des „Vaterunser“ bringen:

„Habt acht darauf, dass ihr eure guten Taten nicht öffentlich vor den Leuten übt, damit ihr gesehen werdet, so wie eure Führer tun. Übst du Barmherzigkeit, so lass nicht vor dir hertrompeten, wie diese
Heuchler in den Bethäusern und auf den Gassen, damit die Leute sie rühmen. Sondern es soll die linke Hand nicht wissen, was die rechte tut, so dass dein gutes Werk ganz verborgen bleibt.
Und wenn du betest, geh in dein Kämmerlein, verschließe die Tür und bete zum Allvater im Geheimen.
Auch sollt ihr beim Beten nicht so viel schwätzen wie diese Heuchler, die euch beten lehren. Die meinen, sie würden erhört, wenn sie nur viel Worte machen. Allvater weiß, was ihr braucht, bevor ihr bittet.

Betet so:
Allvater!
Weihevoll sei uns dein Name!
Dein Reich komme zu uns!
Von deinem Willen lass unser Herz erfüllt sein!
Bescher uns des Leibes Nahrung, das nötige tägliche Brot!
Gib, dass wir uns damit bescheiden und nicht versucht werden, durch Gier nach den Gütern der Erde Schuld auf uns zu laden! Sind wir aber in Schuld gekommen, so führ uns wieder auf den rechten Weg und lass uns durch Versöhnlichkeit im Herzen unsere Schuld tilgen!

Bittet, es wird euch gegeben, suchet, ihr werdet finden, klopft an, es wird euch aufgetan. Ist einer unter euch Menschen, der seinem Sohn einen Stein gibt, wenn er um Brot bittet? Oder eine Schlange, wenn er um einen Fisch bittet? Wenn nun ihr Argen euren Kindern gute Gaben zu geben wisst, wie viel mehr wird der Allvater denen, die ihn bitten, die Gaben geben, die ihnen gut tun!
Ein übervolles Maß wird euch in den Schoß geschüttet werden, denn Gott gibt den Geist nicht nach dem Maß. Bittet um das Große, so wird euch das Kleine gegeben, bittet um das Himmlische, so wird euch das Irdische gegeben.
Wenn ihr fastet, sollt ihr nicht wehleidig dreinsehen wie eure Führer, die Heuchler, die ihr Gesicht verziehen, damit die Leute merken, dass sie fasten. Wenn du fastest, salbe dein Haar und wasche dein Angesicht, damit die Leute nicht merken, dass du fastest, sondern dein Fasten für dich bleibe.“

Freut von Wander-Bertoni in Winden am See
Kreuz von Wander-Bertoni

Jesus wollte seinen Schülern klarmachen: Entscheidend sind nicht Worte als solche, sondern das, was der Beter in diese Worte an Inhalten, also an Gedanken, Gefühlen und Empfindungen hineinlegt. Bei diesem Gebet sollen die Menschen nicht „plappern wie die Heiden“, wie es Jesus sagte (Matthäusevangelium 6, 7). Wort für Wort vorformulierte und dann abgelesene oder auswendig gelernte Gebete sind deshalb meist unbeseelt und kraftlos. Da viele Menschen daran gewöhnt sind, ein Gebet gemeinsam zu sprechen, ist es natürlich notwendig, sich auf einen Text zu einigen. Es liegt dann an jedem Einzelnen, ob die gesprochenen Worte dann auch mit dem entsprechenden Inhalt gefüllt sind, der für den Beter ein Herzensanliegen ist.

Kolm setzt sich auch kritisch mit anderen Vater-unser-Formulierungen auseinander. Er erläutert dabei auch die Übersetzung dieser Jesus-Worte: Der seinen Schülern vorschwebende böse Gott des Alten Testaments, dem im Tempel von Jerusalem geopfert wird, ist nicht Jesus Vater.

„Die Heiligung oder Nichtheiligung seines Namens ist uns gleich. Hingegen soll der Gedanke an Allvater unser Herz mit Weihe erfüllen, das heißt, vom Irdischen wegwenden. Dass man betet „dein Wille geschehe“, tut nichts zur Sache, denn Gottes Wille geschieht so auch. Etwas Anderes aber ist das Gebet, dass Gott uns würdigen soll, an der Erfüllung seines Willens mithelfen zu dürfen. Dann muss sein Wille unseren Sinn erfüllen. Um das wollen wir ihn bitten.

Gott vergibt nicht Schulden, er straft nicht, er belohnt nicht. Wir selbst vergeben uns die Schulden dadurch, dass wir unser Leben Jesus nachzuleben versuchen, um Gott in unser Herz Zu gewinnen. Gott teilt nicht Gnaden aus, er bevorzugt niemand. Man muss selbst Gott sich erringen wollen. Es taugt uns Menschen nicht, in unserer Schwäche nach rechts und links zu schielen, nach ,,Gottes Gnade“ und ,,Schuldvergebung“. Gott wird nicht Wunder in unseren Herzen wirken, wenn wir uns die Wunder nicht selbst bereiten. Man mache endlich Schluss mit der Bequemlichkeit, Gott für unsere eigene Schwäche verantwortlich zu machen. Das ist eine Kerzerlweiberfrömmigleit, mit der man vor der Kirchentür hocken kann. Gott aber braucht in seiner Unendlichkeit keine Kerzerlweiber.

Schwarzes Schaf auf der Weide
Was passiert mit den schwarzen Schafen?

Der Jesusspruch ,,bittet um das Große usw.“ ist von Clemens Alexandrinus, zwischen 175 und 200 Lehrer an der Katechetenschule von Alexandria, bezeugt (Hennecke S. 34). Er bemühte sich, das junge Christentum mit der griechischen Philosophie in Einklang zu bringen und musste daher kurz vor seinem Tod aus Alexandien fliehen. Sein Schüler Origines folgte diesen Vorstellungen und kam daher ebenfalls mit dem neuen Klerus in Konflikt. Siehe auch U 75: „Sucht vorerst Gottes Reich und seine Frömmigkeit, und all dies wird euch auf den Tisch gelegt.“

Vielleicht ist die von Papst Franziskus angeregte Diskussion über den Text des „Vaterunser“ somit auch ein Anstoß, den ursprünglichen Text der Evangelien näher unter die Lupe zu nehmen.

2 Antworten auf „„Vater unser“-einmal anders“

    1. So wie die Menschen ihre Religion machen, so sehen auch diese Menschen aus. Und hätten Pferde Götter, würden sie wie Pferde aussehen.

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