Die hohe Kunst der FAKES

Hitlers Tagebücher

Am 25. April 1983 verkündete das „stern“ – Magazin vor 17 Fernsehteams und 200 weiteren Reportern den Start der Veröffentlichung von Hitlers

Hitler Briefmarke 1942

persönlichen Tagebüchern in 62 Bänden. Auf Grund des weltweiten Interesses hatte der Bertelsmann-Verlag vorweg deren Echtheit durch den britischen Historiker Hugh Trevor-Roper und seinen US-Kollegen Gerhard Weinberg überprüfen lassen. Auch der US-Schriftexperte Ordway Hilton und der Schweizer Kriminalwissenschaftler Max Frei-Sulzer bestätigten an Hand von Schriftvergleichen die Authentizität dieser Tagebücher. Überdies hatte auch das deutsche Bundesarchiv keine Bedenken gegen diese handschriftlichen Aufzeichnungen.

Konrad Kujau, König der Fälscher

Niemand bezweifelte die Geschichte des deutschen Malers Konrad Kajau, wie er in den Besitz dieser Urkunden gekommen ist, die zu Kriegsende bei einem Flugzeugabsturz aus den Flammen gerettet werden konnten. Für den Kauf und die Veröffentlichung dieser Dokumente hatte der Verlag 9,3 Millionen Mark bezahlt. Erst eine Materialprüfung des Bundeskriminalamtes belegte, dass das Papier der Tagebücher erst nach dem 2. Weltkrieg erstmals produziert wurde. Die Tagebücher entpuppten sich als Fake aus der Feder Kajaus, der dafür neben seinem „Autorenhonorar“ eine viereinhalbjährige Haftstrafe kassierte.

Plinius – Briefe

Eine ähnliche Sensation gab es im Jahre 1502. Da schlug die erstmalige Veröffentlichung eines Briefwechsels zwischen dem altrömischen Senator und Schriftsteller Plinius dem Jüngeren und dem römischen Kaiser Trajan aus den Jahren 111 bis 113 n. wie eine Bombe in der humanistisch gelehrten Welt ein. Vierzehn Jahrhunderte lang hatte niemand von dieser nunmehr vom Veroneser Philosophieprofessor Hieronymus Avantius veröffentlichten Korrespondenz Kenntnis. Darunter zwei Briefe, in denen erstmals nichtchristliche Autoren die moralische Integrität und religiöse Standhaftigkeit der frühesten christlichen Märtyrer bezeugen. Texte, die bis heute von Theologen als frühestes nichtchristliches Jesus-Zeugnis bewertet werden.

Denkmal des Philosophen Plinius
Plinius der Jüngere

Dieser 61 n. geborene Plinius war ein Neffe des berühmten Schriftstellers Plinius des Älteren. Er hatte die klassische Beamtenlaufbahn absolviert und es dank seiner Familie und Begabung bis zum kaiserlichen Legaten gebracht. Im Jahre 111 wurde ihm die Verwaltung der kleinasiatischen Provinzen Bithynien und Pontus – im Nordwesten der heutigen Türkei – übertragen. In neun Bänden behandelte er – literarisch in Briefform gekleidet – alle damals relevanten künstlerischen, politischen und juristischen Themen des gesellschaftlichen Lebens in Rom. Ein „Highlight“ war sein Bericht über die Vesuv-Katastrophe, bei der auch sein prominenter Onkel in Pompeji ums Leben gekommen war.

Apostel Paulus trifft Seneca

Und nun tauchte fast fünfzehnhundert Jahre später ein zehnter Band mit kaiserlicher Korrespondenz aus der Frühzeit des Christentums auf. Quasi als Ergänzung zum Briefwechsel des berühmten Philosophen Seneca mit dem Apostel Paulus. In diesen vierzehn Briefen – davon acht von Seneca und sechs von Paulus – bestärkt der auf seinen Prozess wartende Paulus seinen Freund Seneca, am kaiserlichen Hof dem jugendlichen Kaiser Nero die Lehre Jesu zu verkünden. Eine Handschrift, die erstmals 392 n. vom Kirchenvater Hieronymus erwähnt wurde. Ein Briefwechsel, der bisher als unangreifbar echt galt. Dessen Echtheit jedoch um 1500 – somit knapp vor Avantius Veröffentlichung der neuen Plinius–Briefe – vom reformerischen Humanisten Erasmus von Rotterdam bezweifelt wurde. Der beurteilte es als eine „schamlose Narretei“, Seneca so reden zu lassen; und eine „Gotteslästerung“, Paulus derart triviale Worte in den Mund zu legen.

Avantius behauptete, dass er die Briefe von einem gewissen Petrus Leander übermittelt bekam. Der habe sie aus Paris nach Verona gebracht. Der venezianische Buchdrucker Monutius Aldus erwähnte dann in einer weiteren Auflage, dass der berühmte Geistliche, Architekt und Antiquar Fra Giocondo diesen Codex in einer Pariser Bibliothek entdeckt habe. Sämtliche spätere Verleger haben sich dann auf diesem Aldus berufen.

109 dieser Briefe stammen aus den 18 Monaten der Statthalterschaft in Bithynien, und zwar 61 von Plinius und 48 Antworten von Trajan. „Viele Briefe in so kurzer Zeit“, bemerkt dazu der evangelische Theologe Hermann Detering in seiner kritischen Abhandlung „Falsche Zeugen“ trocken. Deshalb gab es bereits vor der Erstausgabe 1502 Zweifel an der Echtheit dieses „Briefwechsels“. Neben der dubiosen Entdeckungsgeschichte dieser Handschrift stachen den Kennern der anderen Plinius-Bände auch sprachliche Ungereimtheiten ins Auge.

Plinius als Blogger

Dazu kam die Trivialität dieser „kaiserlichen Korrespondenz“, die weitere Zweifel nährte. Lapidare Mitteilungen ohne briefliche Einleitung, wie etwa über das Eintreffen eines Legaten aus Rom oder schlichte Geburtstagswünsche, für die sich der Kaiser artig bedankt. Wie dies heute auf Facebook üblich ist. Im Telegrammstill mit meist bedeutungslosem Inhalt, So scheint es Detering geradezu grotesk, dass Plinius – einst auch oberster Verwalter der Kloaken Roms – in Brief 98 Trajan als Bauherr berühmter Bauwerke (wie etwa die Donaubrücke) um die kaiserliche Zustimmung zur Eindeckung einer Kloake ersucht. „Wobei der Statthalter auf Antworten des mehr als 2.000 Kilometer entfernt in Rom lebenden Kaisers sicherlich mehrere Wochen warten musste.“

Hermann Detering als kritischer Theologe

Den Verfechtern der Echtheit geht es vor allem um die zwei sogenannten „Christenbriefe“, die das Märthyrertum früher Christen belegen. Sie berufen sich auch auf den Kirchenvater Tertullian, der als erster einen derartigen kaiserlichen Briefwechsel erwähnt. Allerdings verweist Detering auf die zweifelhafte Historizität der von Tertullian zitierten „Dokumente“: Der etwa die Registrierung von Jesus Geburt in den Archiven Roms bezeugt. Oder der von einem Brief Marc Aurels über ein christliches Regenwunder berichtet – das es nie gegeben hat. Oder der vom Apostel Johannes zu berichten weiß, dass dieser – in siedendes Öl geworfen – diese Tortur ohne Schaden überstanden hat.

Tertullians Phantasie hat auf andere Kirchenväter wie Hieronymus im 4. Jhdt. oder Marianus Scotus im 11. Jhdt. befruchtend gewirkt. Sie haben sich in ihrer Lehre auf diese Briefe berufen, ohne sie je gesehen zu haben. Tatsächlich ist die angeblich in Paris aufgefundene Plinius – Handschrift schon kurz nach ihrer Veröffentlichung verschollen. Jedenfalls scheint Frau Giocondo – volgo Jucundus Veronensis – der einzige gewesen zu sein, der diesen Codex je zu Gesicht bekommen hatte. Möglicherweise hat Tertullian einen Autor zu einem derartigen 10. Plinius Band animiert. Vielleicht stammt er direkt aus der Feder des Frau Giocondo als profunden Kenner der römischen Kaiserzeit, der damit Zweifel protestantischer „Kirchenfeinde“ an der Echtheit der Paulus/Seneca-Korresondenz zerstreuen wollte.

Plinius: Eine super Fälschung

Ob Plinius oder Seneca – mit beiden Namen haben spätere christliche Verleger jedenfalls ein gutes Geschäft gemacht. Die Echtheit dieser Werke kann heute niemand an Hand von Papier- oder Tintenproben überprüfen. Das Schicksal der Enttarnung gefakter Hitler – Tagebücher blieb dem „Parisianus“ bis heute erspart. Damit Theologen solch enttarnte Fälschungen nicht bei ihrem hässlichen Namen zu nennen brauchen, verpasste ihnen die Kirche eine neue wissenschaftliche Identität: PSEUDOEPIGRAPHIE – die Kunst, gefälschte Dokumente unters Volk zu bringen.

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