RELOTIUS – der Gesalbte

Claas Relotius, Hamburg Media School

Claas Relotius: Sein offenbar latinisierter Name – „lutare“ … schmieren, salben – hat möglicherweise seinen Berufsweg geprägt. Gesalbt mit zahlreichen Journalistenpreisen hat der „Spiegel“ – Redakteur den Begriff „fake news“ wieder einmal in aller Munde gebracht. Die Aufregung darüber ist allerdings Heuchelei. Denn der österreichische Schriftsteller und politische EU-Propagandist Robert Menasse bewies uns mit seiner Erfindung von Zitaten, wie subtil der Begriff der „Wahrheit“ ist.

 

Er legt Walter Hallstein, dem Gründungspräsidenten der EWG,

Walter Hallstein, EWG-Gründungspräsident

Worte in den Mund, die dieser nie gesagt hat. Die er aber aus der Sicht Menasses so gesagt haben sollte. Zitate, die von Menasse – Epigonen als Hallstein’sche „Originale“ weiter verbreitet wurden. Es ist Menasses „sinnliche Gewissheit“, die ihn dazu berechtigt: Die Quelle ist korrekt. Der Sinn ist korrekt. Die Wahrheit ist belegbar. Was fehlt, ist das Geringste: das Wortwörtliche. So wurde Menasse zumindest zuletzt in zahlreichen Medien zitiert. Und auf Zitate sollte man sich verlassen können.

Sinnliche Gewissheit

„Was kümmert mich das Wörtliche, wenn es mir um den Sinn geht.“ Diese „sinnliche Gewissheit“ ist beim deutschen Philosophen Georg W.F. Hegel jene geistige Naivität, der noch die Komplikationen gezielter „Was-Fragen“ fremd ist. Erst durch dieses Hinterfragen macht das Bewusstsein die Erfahrung, dass Wahrheit nicht im jeweils subjektiven Jetzt zu finden ist. Es sind dafür Unterscheidungsgesichtspunkte der Reflexion erforderlich, denn schon das trivialste Bewusstsein erhebt den Anspruch, im Besitz der absoluten Wahrheit zu sein. Menasse ist bei der Kreation seiner Zitate überzeugt, im Besitz der „wahren Worte“ Hallsteins zu sein. Dafür, dass Hallstein diese „Wahrheit“ nicht so klar artikuliert hat, dafür kann er nichts.

Phänomenologie des Geistes

Er negiert, dass mit Hilfe der Dialektik widersprüchliche Absolutheitsansprüche gegenüber zu stellen sind: Erst dieser Weg der Erfahrung hat zur Folge, dass das eigene subjektive Bewusstsein seine Auffassung von der Wahrheit ständig korrigieren muss, wenn es nicht mit sich selbst in Widerspruch geraten will. Diese mühevolle Entwicklung führt in Hegels „Phänomenologie des Geistes“ von der ursprünglich-primitiven „sinnlichen Gewissheit“ des menschlichen Bewusstseins zum allumfassenden Geist als höchste Stufe der Wahrheit. Jener „absolute Geist“, der die Gegensätze von Subjekt und Objekt, Denken und Sein aufhebt. Der das Wesen des Endlichen im Unendlichen erkennt. Wie viel einfacher und praktischer ist es somit, mit „sinnlicher Gewissheit“ Fakes zu produzieren. Die hat es schon vor zweitausend Jahren bei der Niederschrift der Evangelien gegeben. Deren Autoren übersetzten Jesus Worte jeweils so, wie diese aus ihrer jeweiligen Sicht sein sollten. Propagandawerke, um mit diesen für ihren neuen Glauben neue Anhänger zu gewinnen.

Robert Menasse, österreichischer Publizist

Nach Menasses Motto: „Die Quelle ist korrekt. Die Wahrheit ist belegbar. Was kümmert mich das Wörtliche, wenn es um den Sinn geht.“ Der jeweils Zitierte kann sich gegen diese Methode nach seinem Tod nicht mehr wehren. Hallstein nicht. Auch Jesus nicht, dessen revolutionäres Wirken gegen das Establishment zwei bis drei Jahrhunderte später mit dem Weltbild der um Macht ringenden neuen christlichen Kirchen nicht vereinbar war. Die ursprünglichen Texte zeigen seine Mission, die Menschen vom Jenseitsglauben und Fremdbestimmung – sei es durch die Natur, Gott, Gesetz oder die eigenen Vergangenheit – zu befreien. Die Unterdrückung anderer – äußerlich oder innerlich – verkörperte für ihn das Böse. Nur dem es gelingt, sich immer weiter von diesem Zustand zu entfernen, sein individuelles Gewissen durch Selbsterkenntnis weiter zu entwickeln, wird wirklich frei. Der lebt neu, ein zweites, drittes oder x-tes Leben.

Diese völlig neue Vorstellung einer „Auferstehung“ konnten auch seine Anhänger nicht erfassen. Sie haben seine Idee der Selbstbestimmung gründlich missverstanden und daraus eine „Auferstehung des Leibes“ gemacht. Sein Tod wurde zum Blutopfer zur Tilgung der Sünden der Welt. Das Buch „Jesus Fake“ zeigt, wie uns die neuen „Kirchenväter“ einen „verklärten“ Jesus bescherten. Als seine syro-aramäischen Predigten

Biblische Fälschungen im Neuen Testament

in fremde Sprachgebiete getragen wurden, übersetzte man sie ins Griechische – die allgemein verständliche Amtssprache des östlichen Mittelmeers. Dies tat nach dem Zeugnis des Kirchenvaters Papias jeder „so gut er es vermochte“. So wurden in „sinnlicher Gewissheit“ die Evangelien schon in Frühzeiten verfälscht. Für einen „revolutionären“ Jesus gab es in einer autoritären Staatskirche unter dem Schirm des Kaisers keinen Bedarf mehr. Er wurde aus den Schriften verbannt. Frühere Aufzeichnungen wurden als herätisch – vom „wahren“ Glauben abweichend – verbrannt. Nur die Fakes sind uns geblieben.

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